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Mühlenreportage aus Württemberg: Unterschiedlichste Mahlerzeugnisse aus der Region

Eingebettet zwischen Wald, Wiesen und Weinbergen liegt die malerische Fachwerkstadt Vaihingen im Nordwesten Baden-Württembergs. 1928 übernahm die Müllerfamilie Auch die über 500 Jahre alte Vaihinger Mühle und steht seit vier Generationen für handwerkliche Herstellung von vielfältigen Mahlerzeugnissen und Backmischungen aus regionalem Getreideanbau. Müllermeister Manfred Auch, der mit seiner Familie direkt über dem Mühlenladen wohnt, zeigt uns den Weg vom Getreide zur großen Produktvielfalt aus einer kleinen Mühle.  

Eine Mühle mit langer Geschichte 

Direkt am wasserreichen Flüsschen Enz liegen die historischen Gebäude der Vaihinger Mühle, im Jahre 1447 erstmals als Wassermühle urkundlich erwähnt. Schon vor 100 Jahren erfolgte die Umstellung auf elektrischen Betrieb, doch die schnelle Strömung des Flusses bleibt nicht ungenutzt: „Mit unserem Wasserkraftwerk erzeugen wir im Nebenbetrieb regenerativen Strom aus der Enz“, erläutert Manfred Auch.

Kleine Mühle mit mehreren Standbeinen

„Wir arbeiten traditionell im regionalen Kreislauf und vermahlen pro Tag acht bis zehn Tonnen Getreide, eine Großmühle mahlt unser Jahresvolumen an nur einem Tag“, erklärt Manfred Auch: „Für uns ist es deshalb wichtig, mehrere Standbeine zu haben, also unseren Mühlenladen oder beispielsweise die Belieferung von lokalen Pizzabäckern, Hofläden und Einzelhandelsgeschäften in der nächsten Umgebung.“ Ihre Produkte vertreibt die Familie im Umfeld von Pforzheim bis Stuttgart – der Schwerpunkt liegt aber vor Ort in Vaihingen: „Unser Fokus waren schon immer die Endverbraucher. Ob Männer, Frauen, Jugendliche oder ältere Menschen, die Kundenstruktur in unserem Mühlenladen ist gut gemischt. Unser Ziel ist es, ursprüngliche, authentische Produkte und ein Einkaufserlebnis zu bieten. Es geht vor allem um den direkten Kontakt, dabei findet ein unheimlicher Wissenstransfer statt“, so der Müller. Seine Frau vermittelt Kindern und Erwachsenen in Back- und Kochkursen die Praxis rund ums Mehl. Und: „Es ist schon Tradition, dass jede Grundschulklasse aus Vaihingen zu uns in die Mühle kommt!“

Brotgetreide vom Landwirt – Kontrolle ist wichtig!

„Wenn die Landwirte aus der Region das Getreide anliefern, ziehen wir eine Probe und machen eine Wareneingangskontrolle in unserem Mühlenlabor“, berichtet Manfred Auch. Hier stehen Geräte für verschiedene Getreideuntersuchungen, die mit modernen Schnellbestimmungs-Methoden Anhaltspunkte für die Backqualität geben. „Uns ist ebenso der jahrzehntelange Umgang mit den Landwirten und ihre Erfahrung im Anbau sehr wichtig: Ich kann meist gut einschätzen, von wem ich eine bestimmte Getreidequalität bekomme.“
Hinter dem Labor befindet sich ein Computerarbeitsplatz: „Hier fängt unsere EDV-mäßige Vernetzung an. Wir sind heute zur Rückverfolgbarkeit verpflichtet. Das bedeutet, wir können darstellen, wo sich welche Getreide-Charge in der Mühle befindet. Außerdem bewahren wir Muster des angelieferten Getreides und der daraus hergestellten Produkte auf.“

Getreideeinlagerung im Silo: trocken, dunkel und kühl

Die Ernteerfassung läuft in Vaihingen etwas anders ab als in großen Betrieben: „Eine Großmühle kriegt jeden Tag ein paar hundert Tonnen geliefert. Wir bekommen einmal jährlich unsere Lieferungen und stellen daraus übers Jahr die verschiedensten Mahlerzeugnisse her. Das meiste Getreide beziehen wir gleich in der Ernte direkt von Landwirten aus der Region.“

In die Silos der Vaihinger Mühle passen rund 1.500 Tonnen Getreide. Bevor das Getreide in einen der vier großen oder drei kleineren Silotürme kommt, wird es mithilfe von Sieben im Windkanal vorgereinigt. Der Müller betont: „Wichtig ist, das Getreide während der Lagerung gesund zu erhalten. Trocken, dunkel und kühl – das sind die idealen Lagerbedingungen. Die sachgerechte Erfassung des Getreides für die Silolagerung ist eine meiner Standard-Aufgaben, dafür habe ich verschiedene Kriterien für eine praxistaugliche Einlagerung des Getreides je nach Qualität.“

In der Mühle – Stockwerke und Maschinen

Die eigentliche Mühle befindet sich in dem Fachwerkhaus gegenüber den Silotürmen, mit Rohrleitungen über den Hof verbunden. Manfred Auch zeigt auf die Stockwerke der Mühle, auch Böden genannt, die immer nach der Hauptmaschine benannt sind, also Walzen-, Sichter- und Rohrboden. Dann betreten wir die Mühle. Die Maschinen hier stammen aus den 1960er-Jahren, aber diese klassischen Mühlenmaschinen haben eine lange Lebensdauer und das Funktionsprinzip ist unverändert aktuell. „Mein Vater hat die Maschinen eingerichtet. Wir pflegen und erhalten sie, so ist Vieles traditionell noch aus Holz, was heutzutage komplett aus Metall gebaut würde. Ein Problem ist manchmal, dass man schwer an Ersatzteile kommt, da ist dann handwerkliche Improvisationskunst angesagt“, erzählt der Müllermeister, der zum Glück Maschinenbau studiert hat. „Die Maschinen haben bei uns quasi geregelte Arbeitszeiten von morgens bis abends. Deshalb sind bei uns in der Mühle zwei Arbeitskräfte völlig ausreichend!“ Manfred Auch beschäftigt noch einen Müllergesellen, der vor 19 Jahren die Ausbildung bei ihm gemacht hat, nur gelegentlich hilft noch ein Senior-Mitarbeiter mit.

Reinigung: Ziel ist einwandfreies Grundgetreide

Obwohl das Getreide in den Silos bereits vorgereinigt ist, enthält es beispielsweise noch Bruchkörner, Stroh, Spreu, Unkrautsamen, Steinchen oder kleine Metallteilchen. „So ein Mähdrescher verliert auch schon mal ein Schräubchen, wenn er übers Feld fährt. Daher ist die sorgfältige Reinigung ungeheuer wichtig. Das Getreide so vorzubereiten, dass nur noch einwandfreies Grundgetreide vorhanden ist, ist ebenso aufwändig wie die eigentliche Vermahlung“, betont der Müller. Dafür gibt es verschiedene Reinigungsmaschinen: Scheuer-, Bürst- und Schälmaschinen, einen Steinausleser und einen Magneten sowie einen Aspirateur: In ihm fällt das Getreide durch einen Luftstrom, der leichtere Teilchen wie Stroh, Sand und Staub „herauspustet“. Anschließend werden alle Teile, die größer als fünf Millimeter und kleiner als zwei Millimeter sind, ausgesiebt. Jede der Reinigungsmaschinen ist „besaugt“, d.h. hier herrscht ein Unterdruck, der den Staub in der Maschine vom Korn trennt. Auch das Mahlgut wird in der Mühle auf diese Weise – „pneumatisch“ – durch die Rohre befördert. Manfred Auch beschreibt den Technisierungsgrad in seiner Mühle so: „Die gesamte Reinigung läuft selbstständig und ist ein kontinuierlicher Prozess. An kritischen Stellen sind Überwachungseinheiten mit Signalgebern angebracht. Sie melden uns sofort, wenn’s irgendwo nicht richtig rund läuft. Wir machen trotzdem ständig Rund- oder Kontrollgänge und regeln die Maschinen nach, damit es erst gar nicht zu Störungen kommt.“

Mahlarbeit: Blick auf den Walzenboden

Bevor das gereinigte Getreide vermahlen wird, wird es bei Bedarf noch leicht befeuchtet, damit sich die Schale besser vom Mehl trennen lässt. Der Müller erklärt uns anschaulich das Hauptprinzip jeder Mühle: „Das Getreide wird im Walzenstuhl zerkleinert, dann zum Plansichter gesaugt und dort gesichtet, d.h. nach Feinheitsgrad in verschiedene Fraktionen getrennt. Das dort gewonnene Mehl wird dem Prozessentnommen und die gröberen Kornteilchen wieder auf die verschiedenen Walzenstühle verteilt. Einen Durchgang von Zerkleinern und Trennen nennt man Passage.

Nach 16 Passagen kommen wir zu 75 bis 78 Prozent Mehlanteil.“ Der Müller öffnet die Klappe an einem Walzenstuhl: „Da sehen wir zwei Metallwalzen, die sich fast berühren. Je nachdem, in welcher Passage wir mahlen, unterscheiden sich die Drehzahlen und die Riffelungen der Walzen. Bei der Einstellung der Walzen ist viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung nötig – die verschieden feinen  Kornteilchen prüfe ich mit dem ‚müllerischen Griff‘. Auch das Ohr ist sehr wichtig: Die Maschinen haben alle einen bestimmten Klang und wenn irgendetwas nicht stimmt, kann ich das sofort hören.“

Hier geht’s rund: Sieben im Plansichter

Mit einem Aufzug fahren wir in den dritten Stock zur großen Siebmaschine, dem sogenannten Plansichter: „Er ist freischwebend an vier Bambusstäben aufgehängt. Im Innenraum befindet sich ein Sieb-Stapel, oben das gröbste Sieb und unten das feinste.“ Der Plansichter läuft mit 300 Umdrehungen pro Minute. Dadurch machen die Siebe eine Kreisbewegung und schütteln das Mahlgut durch die Siebe. Ergebnis dieses Vorgangs sind sechs verschieden feine Teilchengrößen: grober Schrot, feiner Schrot, Grieß, Dunst, Mehl und Kleie. Die anfallenden Fraktionen werden separat über mehrere Rohrleitungen pneumatisch auf den jeweilig passenden Walzenstuhl befördert.

Manfred Auch zeigt auf die kleinen Guckgläser an seinem Sichter: „An sich ist das ein geschlossener Kreislauf, aber wir haben immer die Kontrolle. Durch diese Gläser kann ich auf einen Blick sehen, wenn es irgendwo hakt. Und dann muss ich schnell sein, da das Mahlgut ja kontinuierlich nachkommt.

Vom Mischen des Mehls bis zur Verpackung

„Es ist die Hauptaufgabe eines Müllers, die Mühle zu führen und die verschiedenen Mehle zusammenzustellen“, erzählt Manfred Auch ein Stockwerk tiefer und zeigt auf die vielen Rohre: „Hier laufen die Produktströme aus dem Sichter durch. Diese Zwischenprodukte, die in jeder Passage anfallen, nennen wir ‚Passagenmehle‘. Die können wir untereinander mischen, um aus ihnen die entsprechenden Typenmehle herzustellen oder ‚Mehle nach Maß‘ zu fertigen, die speziellen Backanforderungen gerecht werden.“ Gleich gegenüber in der Mischkammer werden die Mehle gesammelt, gemischt und dann gelagert. Die Lagerung dient auch der letzten Ausreifung des Mehles.
Weiter geht der Rundgang im Erdgeschoss: Hier erfolgt die Verpackung in haushaltsübliche Kleinpackungen für Endverbraucher. Bäckereien, Gastronomiebetriebe und andere Großverbraucher erhalten das Mehl in Packeinheiten von 25 bis 50 kg. Das Vorratslager befindet sich im Keller des Hauses. „Wir produzieren und mischen nahezu alle Mahlerzeugnisse, die sie hier finden, selber – aus Weizen, Roggen und Dinkel. Das ist unsere Stärke“, sagt der Mühlenchef.

Der Mühlenladen: Gemahlene Vielfalt rund ums Backen

„Wir bieten unseren Kunden alles rund ums Backen“, berichtet Manfred Auch, als wir den Mühlenladen betreten. In den Regalen stehen neben verschiedenen Typenmehlen Spezialitäten wie Dinkel-Dunst, Vollkorn-Grieß, Pizza- oder Spätzlemehl, Backmischungen für Kräuter- oder Hanfbrot und vieles mehr. Die breite Angebotsvielfalt in dem gemütlichen Verkaufsraum lädt zum Stöbern ein und lässt die Herzen von Backfans höher schlagen. „Wir haben rund 20 verschiedene Backmischungen im Angebot, die wir selbst entwickelt und gründlich getestet haben. Momentan sind wir an einem Leinbrot dran. Daneben ist mühlengereinigtes Speisegetreide einer unserer Klassiker für diejenigen Kunden, die zu Hause selber mahlen. Bei uns ist Mehl mehr als ein Grundnahrungsmittel. Entscheidend ist, dass die Backqualität stimmt, die Kunden glücklich sind und sich gut beraten fühlen – dann bezahlen sie für unsere Produkte auch gerne etwas mehr als beim Discounter“, meint der Müllermeister. In dem Mühlenladen, der montags bis samstags geöffnet hat, arbeiten neben Ehefrau Elvira noch vier Teilzeitkräfte.

Das Berufsbild ist modern und breit gefächert

„Wir waren schon ein bisschen überrascht, dass sich unsere Katharina aus freien Stücken entschieden hat, den Müllerberuf zu ergreifen“, sagt Manfred Auch erfreut. Nach dem Rundgang durch die Mühle sitzen wir bei Kaffee und Kuchen mit ihm und seiner 21-jährigen Tochter zusammen. Katharina ist im dritten Lehrjahr zur „Verfahrenstechnologin in der Mühlen- und Futterwirtschaft“. Sie absolviert ihre dreijährige Ausbildung in einer anderen Mühle, die nicht viel größer ist als der eigene Familienbetrieb und ca. 20 km entfernt liegt. Da es bundesweit nur rund 300 Müller-Azubis gibt, hat Katharina Blockunterricht in Stuttgart an der Gewerblichen Schule Im Hoppenlau – eine der beiden Berufsschulen für Müller in Deutschland. „Bei mir im dritten Lehrjahr gibt es zwei Klassen mit insgesamt 40 Leuten – davon sind nur fünf Mädels“, fügt die junge Frau hinzu und schwärmt: „Die Müllerei ist schon in der Ausbildung sehr breit gefächert. Das geht von der Rohstoff- und Werkstoffkunde über Backen und Grundlagen der Ernährung bis hin zu Technischem und Handwerklichem. Man kann uns heutzutage eigentlich nicht mehr bloß als Müller bezeichnen – der Begriff Verfahrenstechnologe trifft‘s schon gut.“ Manfred Auch hat keine Zweifel: „Das ist eine zukunftssichere Ausbildung, eine gewisse Flexibilität und Mobilität vorausgesetzt – von arbeitslosen Müllern habe ich jedenfalls in letzter Zeit nichts gehört“, und verabschiedet uns mit dem traditionellen Müllergruß: „Glück zu!“. 


Impressum:
Text: Julia Güttes, Redaktionsbüro Gutess*
Redaktion: Dr. Heiko Zentgraf, Anne-Kristin Barth, Verband Deutscher Mühlen
Bilder: Verband Deutscher Mühlen e.V.
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