„Backen ist etwas Emotionales“
Wie sie Kunden zu Mehltypen und Mahlerzeugnissen, zum Backen daheim und zum Umgang mit Urgetreidearten beraten können, vermittelte ein Seminar für Mitarbeitende von Mühlenläden in der Müllerschule in Stuttgart.
Spätestens seit der Corona-Pandemie wird in deutschen Haushalten mehr gebacken. Dazu eignen sich die Verbraucher viel (Halb-)Wissen an, es fehlt ihnen jedoch an soliden Kenntnissen über Mehltypen und Getreide. Sie sind kritisch und leicht zu verunsichern, aber anspruchsvoll, was die Produkte betrifft. Dadurch ist die Nachfrage nach Basiskenntnissen rund um Mehl und Mahlerzeugnisse in vielen Mühlenläden in Baden-Württemberg gestiegen und damit auch der Weiterbildungsbedarf des Verkaufspersonals.
Die Beratung rund ums Backen daheim“ lautete daher das Motto des Seminars, das der Baden-Württembergische Müllerbund in Zusammenarbeit mit der Gewerblichen Schule Im Hoppenlau mit Technischer Oberschule (GSIH) im April in Stuttgart veranstaltete. Denn die Information der Kunden steht an erster Stelle im Mühlenladen. „Wir verkaufen unsere Produkte nicht über den Preis, sondern über unsere Dienstleistung: die Beratung,“ unterstrich eine Teilnehmerin.
Urgetreidearten schonend kneten
Ein zentrales Thema im Kurs war der Umgang mit den sogenannten Urgetreidearten Emmer und Einkorn beim Backen. Dazu empfahl Bäckermeister Jörg Sattur, beide schonend und in Etappen zu kneten. Denn Einkorn verfügt über einen weichen Kleber, was zu einer geringen Teigstabilität führt. Reine Einkornteige werden daher am besten in der Kastenform gebacken. Bei Emmer wiederum ist der Kleber sehr straff und wenig dehnbar, was die Backfähigkeit einschränkt.

Anhand von Rezepten für ein Saatenbrot und Urkornseelen mit Emmervollkornmehl, einem Sandwichbrot aus Gelbweizen, einem Sauerteig-Weizenmischbrot sowie Knauzenwecken aus Dinkel- und Weizenmehl beschäftigte sich die Gruppe mit der Teigführung unter Einsatz von Vorteig und Quellstück und mit unterschiedlich langer Führungsdauer. Seelen sind ein langgestrecktes Gebäck bzw. eine Art kleine Stange. Sie stammen ebenso wie Knauzenwecken aus der oberschwäbischen Backstube. Damit das Gebäck nicht so schnell trocken wird, kamen Vorteig und Quellstück zum Einsatz. „Gerade Dinkelteige müssen länger geführt und schonend geknetet werden. Sie geben die Feuchtigkeit schneller ab als Weizenteige“, verdeutlichte Sattur. Außerdem entwickelt das Gebäck durch die längere Teigführung mehr Aroma und ist verträglicher.
Backzutat Thermometer
Weitere Aspekte waren die Unterschiede beim Knetprozess zwischen Weizen, Roggen und den Urkornarten und die Temperaturen. „Das Thermometer ist eines der wichtigsten Zutaten beim Backen," betonte der Bäckermeister, der als Fachlehrer an der GSIH auch die Müller und Müllerinnen unterrichtet.
Da die Temperaturen im Laufe des Jahres variieren, empfahl er, die Teige nach dem Kneten zu kontrollieren: die Temperatur sollte bei Weizenteigen nach dem Kneten zwischen 22°C und 25°C, bei Emmer und Einkorn bei rund 24 bis 26°C liegen. Denn zu warme Teige treiben zu schnell, bei zu kalten Teigen verzögern sich die Reifungsprozesse.
Um im Sommer einer zu schnellen Hefeentwicklung vorzubeugen, sollte das Wasser für den Teig kalt sein oder sogar direkt aus dem Kühlschrank kommen. Oder man reduziert in der warmen Jahreszeit gleich die Hefemenge.

Hefe scheint bei einigen Kunden jedoch nicht mehr das Triebmittel der Wahl zu sein, auch nicht bei Backanfängern. Nicht selten hört man von ihnen im Laden die Frage: „Ich fange mit dem Brotbacken an und möchte einen Sauerteig ansetzen, haben sie Tipps dazu?“
Mit Sauerteig backen liegt im Trend
Sattur stellte drei Sauerteige vor: den Detmolder Sauerteig, den Berliner Kurzsauer und einen Hobbysauerteig. Er ging mit der Gruppe das Anstellen und Führen des Sauerteigs durch und verwies auch hier auf die Bedeutung der Temperaturen. Milchsäurebakterien benötigen Zeit und Wärme, unter 20°C fühlen sie sich nicht wohl. Daher sollte die Temperatur bei der Sauerteigführung zwischen 20°C und 30°C liegen. Führt man ihn warm, reift er schneller und verfügt über ein milderes Aroma. Bei kühleren Führungen reift der Sauerteig langsamer und sein Aroma wird säuerlicher. Eine Teilnehmerin hatte ihren eigenen Sauerteig gleich mitgebracht und ließ ihn vom Fachmann begutachten.
Die zwölf Kursteilnehmer beteiligten sich rege am Kurs und diskutierten intensiv mit den engagierten Referenten Jörg Sattur und Petra Sträter. Die meisten Teilnehmenden stammten aus Mühlen, die neben Bäckerkunden zunehmend oder fast ausschließlich Endkunden bedienen. Ein paar Betriebe bieten selbst Backkurse an und informieren in Führungen, auf ihren Websites und in den Sozialen Medien über ihr Handwerk und ihre Produkte.

Zu diesen Produkten gehören auch die vielen Mehl- und Backmischungen, die in Mühlenläden und Einzelhandel zu finden sind. Denn abgesehen von den einheitlichen Typenbezeichnungen führt nahezu jede Mühle eigene Mischungen, nicht zuletzt beim derzeit sehr beliebten Pizzamehl. Oder beim Dunst: diese Bezeichnung ist vielerorts mit dem in Baden-Württemberg beliebten Spätzlesmehl gleichzusetzen, bei manchen Mühlen enthält es aber zusätzlich noch Hartweizengrieß und/ oder Weizenmehl Type 405.
Mehltypen aus verschiedenen Ländern gefragt
Hinzu kommen die Mehltypen anderer Länder wie etwa die mittlerweile sehr gefragten Typen 00 und 0 aus Italien oder das T65 aus Frankreich. Die Kunden stolpern in Rezepten darüber und verlangen danach, oft ohne zu wissen, dass es dafür eine deutsche Entsprechung gibt, mit der man ebenfalls backen kann. Lebensmitteltechnologin Petra Sträter hatte einige Mehltypen und Mahlerzeugnisse sowie verschiedene Körner und Pseudocerealien in den Kurs mitgebracht und erläuterte ihre Verwendungsmöglichkeiten und ihre Besonderheiten bei den Nährstoffen.
Im Hinblick auf letztere fragen viele Kunden nach wie vor, ob denn Dinkel nicht tatsächlich gesünder und vor allem besser verträglicher sei als Weizen. Petra Sträter verwies auf die Universität Hohenheim, die 2021 in einer Untersuchung Weizen- und Dinkelgebäcke mit kurzen und langen Teigführungen verkosten ließ. Gebäcke mit längeren Teigführungen wurden besser vertragen, egal, ob sie mit Weizen oder Dinkel gebacken worden waren. Dennoch meiden viele Verbraucher den Weizen und geben dem Dinkel den Vorzug. „Backen ist etwas Emotionales. Essen auch,“ brachte die Referentin es auf den Punkt. „Wenn die Kunden unbedingt Dinkel wollen, sollen sie ihn haben.“
“Glutenfrei” ist immer noch ein Thema
Ebenfalls nach wie vor ein starker Trend ist die glutenfreie Ernährung. Sträter zeigte einen im Schullabor frisch ausgewaschenen Kleber und verdeutlichte seine besonderen Fähigkeiten, Wasser zu binden sowie Dehnbarkeit, Elastizität und Volumen in den Teig zu bringen. In glutenfreien Backwaren ersetzen Verdickungsmittel Reis- oder Maismehl und Flohsamenschalen diese Klebereigenschaften. Sträter, die seit 2002 Müllerinnen und Müller an der Hoppenlau unterrichtet, erklärte außerdem die Unterschiede zwischen Glutensensitivität, Glutenallergie und Zöliakie. Die Lehrerin hatte glutenfreie Brote dabei, die ebenso verkostet und besprochen wurden wie die bei Bäckermeister Sattur hergestellten Gebäcke.
Beratung ist anspruchsvoller geworden
Die vielen Fragen der Teilnehmer zeigte, dass die Beratung im Mühlenladen anspruchsvoller geworden ist. Daher plant der Baden-Württembergische Müllerbund auch für das nächstes Frühjahr ein Seminar. Zudem stehen auch in den kleineren Betrieben nicht immer Mitglieder der Müllersfamilien hinter der Theke, sondern Personal, dem die Themen Getreide und Mehl vermittelt werden müssen.
Gleichzeitig sind die Mühlenläden als Fachhandel quasi die Schaufenster von Müllerei und Agrarwirtschaft. Denn sie sind oft der einzige Berührungspunkt, den Verbraucher mit der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, mit Getreide und mit der Herstellung von Lebensmitteln haben. Ihr Wissensdurst ist groß, wie eine Verkäuferin im Seminar bestätigte: „Die Kunden haben so viele Fragen und möchten so viel wissen. Und sie möchten sich angenommen fühlen – ich komme mir da manchmal fast wie eine Psychologin vor.“
Text und Fotos: Kornelia Dewald
